Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.02.2018, Nr. 44, S. 45

Weiterhin Sorgen um die Kulturlandschaft

Neue Weingüter in den Weinbergen erhitzen die Gemüter im Rheingau. Doch das Recht der Winzer auf privilegiertes Bauen in Natur und Landschaft ist kaum einzuschränken.Von Oliver Bock

RHEINGAU-TAUNUS-KREIS. Die in jüngerer Zeit neugebauten Weinkeller und Schänken in den Weinbergen von Eltville, Oestrich-Winkel und Geisenheim sind längst in Betrieb und attraktive Anziehungspunkte für viele Gäste. Doch die Kritik daran ist deshalb nicht verstummt. Der Verein “Pro Kulturlandschaft Rheingau”, der sich zunächst ganz – und am Ende erfolgreich – auf die Abwehr von Windrädern konzentriert hat, wendet sich nun dem Thema “Bauen im Außenbereich” zu. Und der Eltviller “Verein zur Erhaltung des Stadtbildes und der Rheinuferlandschaft” hat das Thema mit einem Fragenkatalog an die Kandidaten in den Bürgermeisterwahlkampf getragen. Während Amtsinhaber Patrick Kunkel (CDU) bislang dazu schweigt, in seinem Wahlprogramm aber den “konsequenten Einsatz zum Erhalt unserer Rheingauer Kulturlandschaft” verspricht, stößt die Kritik des Vereins beim Kandidaten von SPD, Grünen und FDP, Rainer Scholl (FDP), ebenso auf Verständnis wie bei Außenseiter Klaus Opitz.

Scholl, der Stadtverordneter und Kreisbeigeordneter ist, sieht durchaus die Notwendigkeit, Teile der Kulturlandschaft grundsätzlich vor jeder Art von Bebauung zu schützen. Und Opitz will das “missbräuchliche Bauen von Weinbergsfestungen” verhindern. Welches Instrument dafür in Frage kommt, das ist die entscheidende und längst nicht beantwortete Frage. Der Eltviller Stadtbildverein plädiert für die großzügige Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten und hat der Eltviller Kommunalpolitik dazu einen Vorschlag vorgelegt, der weite Teile der Weinbergslandschaft umfasst. Solch eine pauschale Festlegung wird von Opitz als “wirksames Instrument” gesehen, sie geht Scholl allerdings zu weit.

Eine solche Schutzgebiets-Ausweisung wird überdies auch nur schwer zu erreichen sein, denn der Verein ist mit diesem Vorstoß schon beim Regierungspräsidium Darmstadt abgeblitzt. Grundsätzlich können zwar Landschaftsschutzgebiete wegen der besonderen Bedeutung oder kulturhistorischen Besonderheit einer Landschaft ausgewiesen werden. Im Fall der Eltviller Weinbergslage “Sonnenberg” aber “kann dieses Instrument nicht zum Einsatz kommen”, so lautet der Bescheid aus Darmstadt. Denn der “Sonnenberg” besitze kein Alleinstellungsmerkmal für den Rheingau.

Das Regierungspräsidium erinnert auch daran, dass es bis 2008 schon ein großflächiges Landschaftsschutzgebiet Rhein-Taunus gegeben hat, das allerdings damals ebenso wie 14 andere Gebiete in Hessen aufgehoben wurde, um einen Beitrag zur Entbürokratisierung im Land zu leisten. Zudem gebe es genügend andere rechtliche Regelungen zum Schutz der Kulturlandschaft. Und die wurden auch nach Überzeugung der Bauaufsicht des Rheingau-Taunus-Kreises bei der Genehmigung einer Kellerei im “Sonnenberg” nicht verletzt.

“Die Bauaufsicht handelt nicht rechtswidrig”, heißt es dazu in einem Schreiben aus dem Kreishaus an den Verein. Und das Regierungspräsidium stößt sich ebenfalls nicht an der hiesigen Anwendung des Paragraphen 35 im Baugesetzbuch, der das privilegierte Bauen von Landwirten in Natur und Landschaft regelt. Neben dem unstrittigen Bau von Betriebsgebäuden wie Maschinenhallen gelte das mit Einschränkungen auch für “nichtlandwirtschaftliche Betriebsteile” wie Vinotheken, Ferienwohnungen und Schänken, sofern diese dem Weinbau untergeordnet sind. Auch Wohnungen für die Betriebsleiter sind demnach zulässig.

Zwar beruft sich der Eltviller Verein bei seiner Argumentation auch auf anderslautende Urteile deutscher Verwaltungsgerichte, doch diese unteren Instanzen urteilen laut Regierungspräsidium nicht einheitlich, so dass der Bauaufsichtsbehörde die abschließende Entscheidung zufällt. Eine andere Option zur Steuerung liegt nach Ansicht des Vereins darin, dass die Kommunen selbst Flächen für Aussiedlungen von Weingütern erwerben und diese bei Bedarf den Winzern anbieten. Bestehe die Möglichkeit, könne das öffentliche Interesse am Schutz der Landschaft höher bewertet werden als die Privilegierung gemäß Baugesetzbuch. Sowohl Opitz als auch Scholl sehen das als gangbaren Weg, vor allem, wenn die Flächen schon im Besitz der Stadt sind. Einen Ankauf auf Vorrat sieht Scholl hingegen skeptisch, zumal der Weiterverkauf an Winzer fraglich ist, wenn diese schon über eigene, aus ihrer Sicht geeignete Flächen verfügt.

Scholl appelliert deshalb wie auch viele andere Kommunalpolitiker an die Einsicht der Winzer und fordert mehr Gesprächsbereitschaft. Das ist auch die Stoßrichtung eines Beschlusses der Oestrich-Winkeler Stadtverordnetenversammlung, der mit dem Appell beginnt, sich der Verantwortung für die Landschaft bewusst zu sein. Winzer und Kommunen seien gefordert, einen Flächenpool für Aussiedlungen zu schaffen. Wünschenswert seien mehr Einfluss der Stadt bis hin zu einem “echten Mitspracherecht”, denn “Flächen mit hoher Einsehbarkeit” seien als Standorte nicht akzeptabel. Zudem müsse stärker auf ansprechende Architektur, Fassaden- und Dachgestaltung und Eingrünung geachtet werden.

Das klingt gut, hat aber bislang keine konkreten Wirkungen entfaltet. Der Verein “Pro Kulturlandschaft Rheingau”, der in Hallgarten durch den Weinguts-Neubau eine “nachhaltige Zerstörung des Landschaftsbildes der Weinlage Hendelberg und damit unseres Weindorfes Hallgarten” sieht, verlangt Auskunft über die weiteren Schritte. “Wir befürchten, dass diese wohlgemeinte und unterstützungswürdige Resolution keine Konsequenzen hat”, heißt es in einem Schreiben an den Magistrat. Die Sorge sei groß, dass die Politik nicht mehr als “wohlgemeinte Absichtserklärungen” zu bieten habe.