Höhenluft bevorzugt
Energieminister Al-Wazir hält es für „logisch“, dass Windräder auf Bergen errichtet werden
Von Christoph Cuntz
WIESBADEN . Odenwald und Taunus werden mit Windanlagen verspargelt, andere südhessische Regionen bleiben verschont: So sehen das Landräte, die erst kürzlich angeprangert haben, dass in ihren Landkreisen besonders viel Vorrangflächen für Windanlagen ausgewiesen werden sollen. Was die einen als ungerecht empfinden, ist für Tarek Al-Wazir (Grüne), Hessens Minister für Wirtschaft und Energie, „logisch“. In einzelnen Regionen müssten eben mehr Windräder aufgestellt werden, sagt der Minister im Gespräch mit dieser Zeitung. Im Odenwald- , im Rheingau-Taunus- sowie im Main-Kinzig-Kreis gebe es etwa Mittelgebirge. „Dort weht der Wind“. Und eine ausreichende Windgeschwindigkeit sei „Voraussetzung, damit überhaupt Windvorrangflächen ausgewiesen werden dürfen“.
Es waren die Landräte Thorsten Stolz (Main-Kinzig-Kreis, SPD), Frank Matiaske (Odenwaldkreis, SPD) und Frank Kilian (Rheingau-Taunus-Kreis, parteilos), die mehr „Augenmaß“ beim Bau von Windkraftanlagen gefordert haben. Derzeit lägen 75 Prozent der Flächen, die als Vorranggebiete in Südhessen ausgewiesen werden sollen, in ihren drei Kreisen.
„Über Geschmack kann man nicht streiten“
Die Landräte fürchten die „Beeinträchtigung“ des Landschaftsbildes durch Windräder. Der Minister meint hingegen: „Über Geschmack kann man nicht streiten. Es gibt Menschen, die finden Windräder schön, andere finden sie hässlich“. Und: Wer aus der Atomenergie aussteigen wolle, müsse woanders einsteigen.
Al-Wazir erinnert an den Energiegipfel, der 2012 stattgefunden hatte, nach dem Atomunglück von Fukushima. Parteiübergreifend sei damals beschlossen worden, zwei Prozent der Landesfläche als Vorrangflächen für Windenergie auszuweisen. „Allen war damals klar: Nicht in jeder Stadt und jedem Landkreis werden zwei Prozent ausgewiesen, sondern verteilt über das ganze Land wollen wir bei zwei Prozent landen“. Würden Anlagen dort aufgestellt, wo wenig Wind weht – wie etwa im Hessischen Ried – bräuchte man deutlich mehr Windräder, um die Energiewende zu erreichen.
Al-Wazir gibt erstens zu bedenken: „Wenn auf zwei Prozent der Fläche Windräder errichtet werden können, heißt das im Umkehrschluss, dass 98 Prozent der Fläche in Hessen frei bleiben“.
Zweitens: Ohne Vorrangflächen kann überall ein Windrad gebaut werden, wo ein Antrag gestellt wird. „Mit den Vorrangflächen ordnen wir den zukünftigen Ausbau“.
Beschlossen werden Vorrangflächen in der Regionalversammlung Südhessen. Dort haben CDU und SPD eine Koalition. Und diese Koalition hat kein Interesse an zu viel Vorrang für Windanlagen. Weshalb derzeit diskutiert wird, einen Anteil von nur 1,43 Prozent der südhessischen Fläche für die Windkraft freizugeben. Und nicht zwei Prozent.
Denn im Ballungsraum sind geeignete Fläche Mangelware: Ist mal ein Standort gefunden, an dem es keine Konflikte mit dem Naturschutz, keine zu große Nähe zu Siedlungen und auch noch ausreichend Wind gibt, findet sich häufig ein anderes Ausschlusskriterium. „Windräder scheitern in Südhessen am häufigsten an Funkfeuern“, sagt Al-Wazir. Mithin an jenen Navigationshilfen für Flugzeuge, die den Frankfurter Flughafen anfliegen. Und deren Umfeld aus Sicherheitsgründen frei von Windanlagen gehalten werden muss.
Standorte, die an solchen Einzel-Faktoren scheitern, will der Minister als Optionsflächen ausweisen lassen. Als Flächen, die wieder für Windanlagen infrage kommen, sobald das Hindernis beseitigt werden kann. Wenn beispielsweise Funkfeuer nicht mehr benötigt werden, weil sie durch ein Satelliten-Navigationssystem zu ersetzen sind.
Al-Wazirs Rechnung: Ergänzt man jene 1,43 Prozent Vorrangflächen, die in der Regionalversammlung vermutlich mehrheitsfähig sind, um solche Optionsflächen, „wären wir landesweit den zwei Prozent und damit unserem Ziel sehr nahe“.
Hessen-Strom deckt nicht die Nachfrage im Land
Ziel der Energiewende ist es, bis 2050 den Endenergieverbrauch von Strom und Wärme möglichst zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Derzeit liefern allein die Windräder, die in der vergangenen Legislaturperiode in Hessen aufgestellt worden waren, Strom für 600 000 Haushalte. Und den Ausfall des Atomkraftwerks Biblis hat die Windkraft nach wie vor noch nicht kompensiert. Und trotzdem hätte Al-Wazir nichts dagegen, auch Staudinger abzuschalten, das einzige Kohlekraftwerk in Hessen, das nur Strom erzeugt. Dabei deckt der in Hessen produzierte Strom schon jetzt nicht annähernd die Nachfrage im Land. Für Hessens Energieminister ist das Ansporn: „Genau deshalb müssen wir weiter machen beim Ausbau der Erneuerbaren.“
VORRANG FÜR WIND
Die Vorrangfläche werden im „Teilplan Erneuerbare Energien“ fixiert. Der ist in Südhessen – anders als in Nord- und Mittelhessen – umstritten und von der Regionalversammlung noch nicht verabschiedet.
In Mittelhessen haben die Vorrangflächen einen Umfang von 12 100 Hektar oder 2,2 Prozent der Fläche.
In Nordhessen sind Vorrangflächen in einem Umfang von 16 700 Hektar beschlossen. Das entspricht zwei Prozent der Fläche dort.
In Südhessen zeichnet sich ab, dass nur 1,43 Prozent der Fläche, oder 10 600 Hektar, als Vorrangfläche ausgewiesen werden. Damit gäbe es hessenweit 1,87 Prozent.