Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.07.2018, Nr. 151, S. 45
Machtlos gegen Bauprojekte in den Weinbergen
Um den Schutz der Kulturlandschaft im Rheingau sorgen sich viele, doch ein Runder Tisch findet kaum Interesse. Vielleicht weil die Eingriffsmöglichkeiten so gering sind.

Von Oliver Bock

ELTVILLE. Die Sorge um die Kulturlandschaft im Rheingau wird nicht dadurch geringer, dass nach einer Umfrage des Weinbauverbandes unter seinen 500 Mitgliedern derzeit nur drei über eine Aussiedlung in absehbarer Zeit nachdenken. "Die große Angst vor einer Zersiedelung bleibt unbegründet", beruhigt Weinbaupräsident Peter Seyffardt. Dass das Thema lange nicht so dringend ist, wie es, gemessen an der Zahl der Veröffentlichungen von Bürgerinitiativen und Parteien, den Anschein hat, zeigte kürzlich der Runde Tisch zur Aussiedlung, der auf Wunsch des Kreistags eingerichtet wurde. Anlass waren die Diskussionen nach dem Neubau von zwei privaten Weingütern in den Weinbergen von Eltville und Hallgarten sowie der Streit um den Standort einer Maschinenhalle der Staatsweingüter.

Mit CDU und AfD nahmen jedoch nur zwei der sechs Kreistagsfraktionen an der Gesprächsrunde teil, und mit dem Eltviller Patrick Kunkel (CDU) war nur einer der sieben Rheingauer Bürgermeister dabei. Womöglich scheint die Brisanz des Themas deutlich geringer geworden zu sein, seitdem die Weingüter fertiggestellt und in Betrieb sind und seitdem ein alternativer Standort für die Halle der Staatsweingüter gefunden ist. Zudem sind die Möglichkeiten der Kommunalpolitik zum Gegensteuern eng begrenzt.

Nach übereinstimmenden Angaben von Kunkel und des Vereins Pro Kulturlandschaft Rheingau war das Ergebnis der Gesprächsrunde ernüchternd. Eine Änderung des Baugesetzbuches und damit eine Einschränkung des Rechts von Bauern und Winzern auf Aussiedlung oder auf die Errichtung landwirtschaftlicher Gebäude in Natur und Landschaft ist nicht zu erwarten. Damit bleibt im Rheingau nur die Hoffnung auf die Einsicht der Winzer.

Der Verein Pro Kulturlandschaft Rheingau ist entsprechend enttäuscht. Nicht nur wegen der geringen Beteiligung an der Gesprächsrunde, "denn der Schutz der heimischen Landschaft hätte mehr Einsatz verdient". Der Verein ist zudem frustriert, dass das Kreisbauamt keine Möglichkeit sehe, ein Bauvorhaben in der Landschaft zu untersagen und den Winzer auf einen alternativen Standort zu verweisen. Das Amt sehe sich vom Gesetz zu einer Baugenehmigung gezwungen und habe nach seiner Einschätzung keine Möglichkeit, Dimension, Baustil, Betriebsgröße und tatsächliche Nutzung zu prüfen, lautet die Zusammenfassung des Kulturlandschaftsvereins.

Zwar sei in der Runde akzeptiert worden, dass weitere Eingriffe in die Kulturlandschaft nicht verkraftbar seien. Die Gesetzeslage sei aber eindeutig, und das Recht auf Aussiedlung könne auch nicht über Festlegungen im Flächennutzungsplan ausgehebelt werden. Die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten sei "als nicht zielführend" erachtet worden.

Bürgermeister Kunkel widerspricht dem nicht. Das Kreisbauamt müsse eine Genehmigung aussprechen, wenn die Kriterien der Aussiedlung erfüllt seien. Der einzige Hebel der Kommunen, Einfluss auf das Vorhaben zu nehmen, sei die Frage der Erschließung des Grundstücks, sagt Kunkel. Das hat sich in der Vergangenheit schon andernorts im Kreis als richtig erwiesen.

So durfte ein Bauer in Hünstetten vor knapp zehn Jahren auf seinem eigenen Grund und Boden keinen Schweinestall bauen, weil der Feldweg der Kommune für die Transporte nicht tragfähig genug war. Allerdings scheiterte die Gemeinde mit dem Versuch, ein großes Gewächshaus in Sichtweite eines Kulturdenkmals zu verhindern.

Im Rheingau setzte sich laut Kunkel am Runden Tisch die Ansicht des Weinbauverbandes durch, wonach Landschaftsschutzgebiete als Instrument zur Lenkung von Aussiedlungsvorhaben weitgehend wirkungslos wären. Weinbaupräsident Seyffardt hat zudem darauf hingewiesen, dass es vor allem die Kommunen sind, die durch Baulandausweisungen den Verlust von 160 Hektar Rebland in den zurückliegenden 25 Jahren zu verantworten haben.

Das rief allerdings den entschiedenen Widerspruch des Eltviller Stadtbildvereins hervor, der unbeirrt an seiner Forderung nach der Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten festhält. Der Verein wirft Seyffardt und den Winzern eine "Doppelmoral" im Hinblick auf die Umwandlung von Rebland in Baugebiete vor. Tatsächlich seien im Rheingau "die meisten reichen Weinbauern nicht diejenigen, die den besten Wein herstellen, sondern solche, die die meisten Weinberge als Bauland verkauft haben". Schließlich könne auf einem Quadratmeter Weinberg jedes Jahr nur eine Flasche Wein erzeugt werden. Bei einem Verkauf zum Baulandpreis von 500 Euro pro Quadratmeter brauchte ein Weingut hingegen Jahrhunderte, um aus dem Boden einen vergleichbaren Gewinn zu erwirtschaften.

Es sei grotesk, wenn Weinbaupräsident Seyffardt den Eindruck zu erwecken versuche, die Umwandlung von Rebflächen in Bauland werde den Weinbauern gegen deren Willen aufgezwungen. Denn es sei "hinreichend bekannt, dass die Ausweisung immer neuer Wohnbaugebiete in erster Linie durch die Winzer vorangetrieben wurde und wird", meint der von Renate Quermann geführte Stadtbildverein. Das habe im Rheingau zu "gewaltigen Fehlentwicklungen" geführt. So fehle es in Eltville an Gewerbeflächen, weil die Ausweisung von Wohnbaugebieten um ein Vielfaches lukrativer sei.

Der Verein beklagt zudem eine "Bevölkerungsexplosion" in Eltville durch den Neubau größerer Wohnkomplexe in jüngerer Zeit. Beim Landkreis und in der Landesverwaltung sei schon vom "Eltviller Bauwahn" die Rede. Die Konsequenz seien hohe Investitionen in die Infrastruktur, beispielsweise in die Kinderbetreuung, die in Eltville stets von der Allgemeinheit getragen würden.

Der Verein beklagt zudem die "ernüchternde" Sturheit der Winzer, sich bei der Wahl der Standorte, der Dimension und den Details ihrer Vorhaben nicht hineinreden zu lassen. Die Folge seien "Fabrikhallen, hotelartige Anlagen und Event-Locations mit Parkplätzen" inmitten der Weinberge. Daraus erwachse die Gefahr, dass diese von den Kommunen als "Eckpunkte für künftige Arrondierungen" betrachtet würden und noch mehr Weinbergsflächen in Wohnbauland umgewandelt werden.

Eltvilles Bürgermeister Kunkel setzt hingegen weiter auf den Dialog mit den Winzern. Vor allem dann, wenn es nicht abstrakt um Aussiedlungen im Allgemeinen, sondern um ein konkretes Vorhaben gehe.

Im Fall der Maschinenhalle der Staatsweingüter sei inzwischen die Baugenehmigung erteilt, Erschließung, Ver- und Entsorgung seien gesichert. Zwar seien einige Fragen wie der ökologische Ausgleich und die Umlegung der Erschließungskosten noch offen. Doch geht der Bürgermeister davon aus, dass die Staatsweingüter im Herbst die Aufträge für den Bau vergeben können.

Das Thema aber bleibe virulent. Und die Region müsse weiter über die Frage diskutieren: "Was ist uns der Rheingau wert?".
 
Bildunterschrift: Attraktion oder Flurschaden: Das neue Weingut Keßler in Hallgarten liegt mitten in den Weinbergen.

Foto Michael Kretzer
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