Die Genehmigung einer 70 Meter langen Werkstatthalle im Rauenthaler Berg durch die Bauaufsicht des Rheingau-Taunus-Kreises ist einer der größten Skandale der Rheingauer Nachkriegsgeschichte. Er reiht sich ein in eine Serie von skandalösen behördlichen Beschlüssen mit landschaftszerstörendem Charakter. Dazu gehören zum Beispiel der Planfeststellungsbeschluss zum Bau einer Autobahn auf der Eltviller Rhein-Promenade und der „Masterplan Erneuerbare Energie“ zur Aufstellung von mehr als 100 Windrädern auf dem Kamm des Rheingau-Gebirges.

Die Verwirklichung der drei angesprochenen Projekte konnte durch das couragierte Engagement von Privatpersonen und Vereinen verhindert werden. Im Falle der Werkstatthalle der Staatsweingüter war es der Eltviller Stadtbildverein, der den Bau der Stahlhalle im Baiken vereitelte, indem er die Öffentlichkeit über die skandalöse Erteilung der Baugenehmigung in Kenntnis setzte und alternative Standorte vorschlug. Der Bau der Stahlhalle im Baiken war nach der Veröffentlichung der schockierenden Fakten – auch in der überregionalen Presse – für den Hessischen Staatsbetrieb „politisch nicht mehr durchsetzbar“.

Die Situation stellt sich völlig anders dar, wenn die sogenannten „privilegierten Bauvorhaben“ im Außenbereich von privaten Bauherrn, d.h. Rheingauer Winzern, geplant und verwirklicht werden. In diesen Fällen können Aussiedlungsprojekte nicht verhindert werden, indem man in der Öffentlichkeit deren landschaftszerstörenden Charakter aufzeigt. Hier versagt das Instrument der öffentlichen Kritik selbst dann, wenn der Nachweis erbracht wird, dass ein sogenanntes „privilegiertes Bauvorhaben“ in Wahrheit überhaupt nicht privilegiert (nach § 35 Baugesetzbuch) und die Erteilung einer Baugenehmigung somit gesetzeswidrig ist.

Diese Aussage lässt sich anhand der drei letzten Aussiedlungsprojekte belegen. Da ist zum einen der neue Gutsauschank des Weinguts Keßler in exponiertester Lage vis-à-vis des Steinbergs, angeblich als Erweiterung einer bestehenden Kelterhalle. Am neuen Standort gab es allerdings niemals eine Kelterhalle und auch ein Gutsausschank ist dort grundsätzlich nicht genehmigungsfähig. In Geisenheim errichtete das Weingut Sohns im Rahmen des privilegierten Bauens zwei Ferienwohnungen, die angeblich zur Vermarktung der Weine benötigt werden. Und das Martinthaler Weingut Hirt-Gebhard siedelte in den Eltviller Sonnenberg, wo eine EU-geförderte Event-Location mit Groß-Terrasse für weit über 100 Personen entstanden ist, in unmittelbarer Nähe zur Wohnbebauung. Gemäß Bauschild handelt es sich hierbei lediglich um eine Vinothek, also um einen „Laden, der Wein verkauft“ (Quelle: Wikipedia).

Die Rheingauer Bürgermeister verkünden unisono, ihnen seien die Hände gebunden, dieser Zerstörung des Rheingaus unter dem Deckmantel des privilegierten Bauens Einhalt zu gebieten. Diese Aussage ist dennoch falsch, da der Gesetzgeber den Gemeinden sehr wohl das Recht einräumt, für ein Vorhaben im Außenbereich ihr Einvernehmen zu versagen.

Die Schlüsselrolle bei der Genehmigung der „privilegierten Bauvorhaben“ fällt der Bauaufsicht des Rheingau-Taunus-Kreises zu. Es ist diese Behörde, die sämtlichen im Rheingau verwirklichten Bauvorhaben im Außenbereich ihr Plazet erteilte. Sie genehmigte auch die Werkstatthalle im Rauenthaler Baiken, die nun trotz vorliegender Baugenehmigung – hoffentlich – nicht realisiert wird.

Wegen der laxen Anwendung des § 35 Baugesetzbuch im Rheingau führt unser Verein seit Monaten einen Schriftwechsel mit der Bauaufsicht des Rheingau-Taunus-Kreises und dem Regierungspräsidium Darmstadt als obere Bauaufsichtsbehörde. Die Stellungnahmen der beiden Behörden lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die von der Bauaufsicht des Kreises genehmigten Aussiedlungsprojekte seien sowohl im Hinblick auf die Standorte als auch der sogenannten „mitgezogenen“, d.h. im Grunde nicht privilegierten Teile, völlig unproblematisch und folglich nicht zu beanstanden. Dies bestätigte im Juni diesen Jahres auch der scheidende Landrat Burkhard Albers und lobte die hohe Qualifikation und Eignung seiner Mitarbeiter in der Bauaufsicht.

Diese Einschätzung können wir leider nicht teilen. Wir sind der Meinung, dass eine Aufsichtbehörde, die eine 70 Meter lange Stahlhalle im Rauenthaler Baiken als unproblematisch einstuft und genehmigt, völlig ungeeignet ist, die ihr übertragenen Aufgaben wahrzunehmen. Für uns ist nicht nachvollziehbar, wie eine Behörde darauf beharren kann, die Genehmigung eines „politisch nicht durchsetzbaren“ Bauvorhabens sei richtig gewesen, obwohl der Gesetzgeber der Behörde die rechtlichen Instrumente in die Hand gegeben hat, die erforderlich sind einen solchen Wahnsinn zu unterbinden.

Die Wissensdefizite lassen sich möglicherweise durch Schulungsmaßnahmen beheben. Hierfür empfehlen wir das Fachbuch „Bauen im Außenbereich“, herausgegeben im Jahr 2017 vom Verlag C.H.Beck, München. Der Herausgeber bezeichnet das Handbuch als eine „wertvolle Informationsquelle für Verwaltungsfachleute in Kommunen, Planungs- und Baubehörden.“ Interessanterweise bewirbt der Verlag sein Fachbuch mit denselben Worten, mit denen unser Verein vor einem Jahr ein hochkarätig besetztes Symposium veranstaltete: „Bauen im Außenbereich: Was geht – was geht nicht“.

Folgt man den Stellungnahmen von Bauaufsicht und Regierungspräsidium, dann erübrigt sich die Veröffentlichung dieses Buch, da nach Meinung dieser Behörden grundsätzlich alle privilegierten Bauvorhaben genehmigt werden müssen. Diesbezüglich lohnt sich ein Blick über den Rhein auf die oft belächelte „ebsch Seit“. In Rheinland-Pfalz hat man längst die Zeichen der Zeit erkannt und versagt landschaftszerstörenden Projekten die Genehmigung.

Aber die Defizite der hiesigen Bauaufsichtsbehörde liegen ganz offensichtlich nicht allein in der unzureichenden Kenntnis der Gesetze. Ebenso schwer wiegt deren grundsätzliche Einstellung zur Kulturlandschaft Rheingau, die aus Sicht der Bauaufsichtsbehörde ganz offensichtlich keines Schutzes bedarf. Der vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessensspielraum wird von der Behörde so angewendet als handele es sich beim Rheingau um einen entvölkerten Landstrich ohne schützenswerte Kulturgüter. In Anbetracht unseres Schriftwechsels mit den Behörden in Bad Schwalbach und Darmstadt bezweifeln wir, dass den Mitarbeitern dieser Behörden der Sinn für die Schönheit und den kulturellen Wert unserer Heimat vermittelbar ist.

Aufgrund dieser Gegebenheiten halten wir es für unabdingbar, dass sich der Zweckverband Rheingau endlich dieses Themas annimmt und zeigt, dass er mehr ist als eine Organisation zum Abgreifen von Fördergeldern. Doch damit tut er sich ganz offensichtlich sehr, sehr schwer. Eine für den 14. September angesetzte Sitzung musste abgesagt werden, da sich der Verbandsvorsteher Winfried Steinmacher und der Vorsitzende des Weinbauverbandes Peter Seyffardt im Vorfeld nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise zum einzigen Tagesordnungspunkt „Aussiedlung von Winzerbetrieben“ einigen konnten. Wir hoffen, dass ihnen das bis zur nächsten Sitzung im November gelingt; denn es geht letztlich um nichts weniger als um die Zerstörung unserer Heimat.